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Generation Z: Was tun, wenn Azubis über jeden Auftrag diskutieren?

Die Generation Z stellt Ausbilder:innen vor die Herausforderung, immer wieder zu prüfen, welche Azubi-Aufgaben wirklich zielführend sind vor allem wie deren Sinn vermittelt werden kann. „Wieso, weshalb, warum? – Wer nicht fragt, bleibt dumm“: Der Klassiker aus der Sesamstraße fordert seit Jahrzehnten Kinder auf, Fragen zu stellen – und das ist auch gut so, denn gibt es einen besseren Antrieb zu lernen als Neugier? Die Generation Z stellt Vieles in Frage. Doch wenn jedem Arbeitsauftrag eine Diskussion folgt, werden die Nerven manch einer Ausbilder:innen strapaziert.

©contastwerkstatt – stock.adobe.com

Beispiel:

Die 19-jährige Vanessa absolviert eine Ausbildung zur Industriekauffrau, die ihr Spaß macht. In der Schule erzielt sie sehr gute Ergebnisse und innerhalb ihres Ausbildungsjahrgangs ist sie anerkannt. Im dritten Ausbildungsjahr rückt nicht nur die Prüfung näher, sondern auch die Frage einer Übernahme in eine feste Anstellung. So gerät Vanessa stärker in den Fokus der Ausbildungsleiterin, die ihre Eignung für künftige Positionen im Betrieb prüfen will.

Werte zählen

In Vanessas Ausbildungsbetrieb wird auf bestimmte Tugenden Wert gelegt, die neben den Leistungen und schulischen Ergebnissen in die Übernahme-Empfehlung einfließen. Damit alle wissen, worauf es ankommt, hat das Unternehmen einen Wertekanon für alle Mitarbeitenden formuliert, der natürlich auch für Azubis gilt:

1. Gutes Miteinander: Wir pflegen eine konstruktive und engagierte, kreative und hilfsbereite Grundhaltung.
2. Transparenz: Wir geben unser Wissen gern weiter und teilen es. Meine Kollegen wissen, woran und wofür ich arbeite.
3. Respekt: Wir erweisen allen Menschen Respekt und drücken uns höflich und angemessen aus.
4. Verbindlichkeit: Wir tun, was wir sagen, und versprechen nur das, was wir auch einhalten können.
5. Vertrauensvoller Umgang: Probleme oder Konflikte werde offen angesprochen und konstruktiv gelöst.
6. Verantwortung: Jede:r Einzelne ist verantwortlich für das eigene Tun und Handeln und leistet mit seinem Wissen, seiner Erfahrung und seinen Ideen einen Beitrag zum Unternehmen.

Zwei Perspektiven

Die Ausbildungsbeauftragten sind dazu angehalten, den Azubis ein ehrliches Feedback zu geben und dieses auch in den Beurteilungsbögen zu vermerken. Vanessas Ausbildungsleiterin überprüft die mittlerweile 13 vorliegenden Beurteilungen aus den Fachabteilungen. Darin wird Vanessa immer wieder bescheinigt, dass sie viel diskutiert und Abläufe sowie auch Tätigkeiten häufig kritisch hinterfragt. Ein Ausbildungsbeauftragter notierte auch die Begriffe „vorlaut“ und „anmaßend“. Andererseits werden Vanessa gute fachliche und schulische Leistungen attestiert.

©contrastwerkstatt – stock.adobe.com

Die Ausbildungsleiterin spricht die angehende Industriekauffrau auf die Vermerke in den Beurteilungsbögen an. Vanessa reagiert selbstbewusst und offensiv:

„Klar hake ich nach, warum ich bestimmte Tätigkeiten übernehmen muss und warum andere Kollegen das nicht machen müssen. Ich frage mich dann, ob ich eine billige Arbeitskraft bin, die man eben irgendwie beschäftigen muss. Die Tätigkeiten, die ich ausführen soll, sind manchmal total sinnfrei und langweilig!“

Die Ausbildungsleiterin erklärt Vanessa, dass sie mit diesem Verhalten ein negatives Bild in den Abteilungen hinterlässt. Die Auszubildende zeigt sich kooperativ und sagt zu, sich in den kommenden Ausbildungsstationen anzupassen. Sie bleibt aber bei ihrer Überzeugung, dass viele der ihr übertragenen Aufgaben nicht angemessen seien.

Die ruhige, aber bestimmte Art, mit der Vanessa ihren Standpunkt vertritt, hinterlässt Eindruck bei der Ausbildungsleiterin. Sie empfindet die Diskussion nicht als zähe Auseinandersetzung mit einem aufmüpfigen Teenager, sondern als sachlichen Austausch mit einer fast erwachsenen jungen Frau, die weiß, was sie will. Der Ausbildungsleiterin kommt der Werte-Kanon in den Sinn: Genau das ist es doch, was das Unternehmen verlangt – ein offener und vertrauensvoller Umgang, in dem Konflikte offen angesprochen und konstruktiv gelöst werden.

War früher alles besser?

Beim nächsten Ausbildertreffen setzt die Ausbildungsleiterin das Thema auf die Tagesordnung. Sofort entwickelt sich eine lebhafte Diskussion unter den Ausbilder:innen: Mehrfach wird beklagt, dass “die Jugend von heute” keinen Anstand und keinen Respekt habe und dass das ständige Diskutieren Zeit und Nerven koste. Ein Ausbilder berichtet von einem Azubi, der den Sinn des Putzens und Aufräumens in der Werkstatt in Frage stellt, da die Werkstatt ja ohnehin wieder schmutzig werde. Ein anderer Ausbilder erzählt von einem Auszubildenden, der jede Unterweisung und jedes Lehrgespräch dahingehend hinterfragt, ob dies nötig und prüfungsrelevant sei.


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Die Ausbilder:innen kommen aber auch auf die unterschiedlichen Generationen zu sprechen und was diese geprägt hat. Ein Großteil der Ausbilder:innen stammt aus der „Baby Boomer-Generation“ der bis 1964 Geborenen. Die Ausbildung damals war geprägt von Gehorsam gegenüber den „Lehrherren“. „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, mit diesem Spruch sind die heutigen Ausbilder:innen aufgewachsen. Der Meister war eine Respektsperson, mit der man nicht diskutierte. In den Köpfen manifestierte sich, dass man lange und hart arbeiten müsse, um anerkannt, erfolgreich und gut bezahlt zu sein.

Wie die Generation Z tickt

Die Ausbilder:innen überlegen: Was hat Vanessa und ihre ab 1998 geborenen Altersgenossen der Generation Z geprägt? Was ist der Erfahrungshintergrund dieser Azubis?

Viele wachsen in einem Doppelverdiener-Haushalt auf, in dem Geld in der Regel ausreichend vorhanden, gemeinsame Zeit aber knapp ist. Da die Eltern aufgrund von Job-Anforderungen und Abwesenheiten häufig das Gefühl haben, den Kindern etwas „schuldig“ zu sein, wird jeder Wunsch erfüllt und wenn etwas nicht so läuft, wie es sich die Kinder vorgestellt haben, schnell Abhilfe geschaffen. Die Kinder entscheiden mit, wie das Wochenende gestaltet oder der nächste Urlaub verbracht wird und in welchem Verein sie aktiv sein möchten. Anpassung, Kontinuität und Durchhaltevermögen werden kaum gefordert und viele materielle Dinge sind selbstverständlich verfügbar.

Auch auf die Schule kommen die Ausbildungsverantwortlichen zu sprechen: Warum werden Selbstbehauptungskurse und Konfliktseminare in der Schule angeboten? Warum dürfen sich Schüler:innen Projekt-Arbeiten selbst aussuchen und warum werden nicht konsequent Hausaufgaben eingefordert?

Fazit: Chancen erkennen

Der Austausch mündet in die Erkenntnis, dass das Verhalten der Azubis vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen beurteilt werden muss. Denn Vanessa und andere Jugendliche verstehen ihre Diskussionsfreudigkeit und das Hinterfragen von Aufgaben nicht als Rebellion gegen Autoritäten. Vielmehr haben sie dieses Verhalten im Elternhaus und in der Schule gelernt. Das Sich-Einbringen, Reflektieren und Verhandeln sind verinnerlichte Fähigkeiten. Anstatt diese Haltung pauschal abzulehnen, stellt sich deshalb die Frage: Wie kann der Betrieb davon profitieren? Ist ein kritischer Kopf in manchen Situationen nicht sogar hilfreicher als ein angepasster Handlanger?

©iStock – alvarez

Unternehmen, die eine Zukunft haben wollen, müssen auf junge Menschen zugehen und sich auf ihre Lebenswelten einlassen. Die Generation Z ist eine Herausforderung für Ausbilder:innen,denn sie müssen immer wieder prüfen, welche Azubi-Aufgaben wirklich zielführend sind und vor allem wie sie deren Sinn vermitteln.

Selbstverständlich darf das nicht auf Kosten anderer Mitarbeiter:innen gehen, daher sind in diesem Prozess alle Beteiligten zu berücksichtigen. Gegenseitiges Verständnis und Kenntnis der Werte sind die Grundlage dafür, dass in einem Unternehmen alle Generationen effizient und harmonisch zusammenarbeiten. Ein schriftlicher Wertekanon kann dabei Orientierung bieten – wenn er auch von den Ausbilder:innen (vor)gelebt wird.

Autor: Josef Buschbacher, in: wirAUSBILDER 2.2016

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