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Telefonangst bei Azubis: Woher sie kommt und wie Sie damit umgehen

Das Telefon ist nach wie vor das Hauptkommunikationsmittel im Unternehmen. Wer schnell etwas klären möchte, greift zum Telefon statt eine E-Mail zu formulieren. Kurz: Telefonieren ist das Normalste der Welt. Dennoch erleben Ausbilder:innen, dass Auszubildende unter Telefonangst leiden. Telefonangst bei Azubis: Woher kommt sie und wie gehen Sie damit um?

@Mega-studio / photocase

Obwohl manch ein Azubi im persönlichen Kontakt offen und kommunikationsstark erscheint, ist er in der Situation am Telefon wie verwandelt: Er hat Angst. Dabei macht es einen großen Unterschied, ob er angerufen wird oder selber anrufen muss. Gerade das aktive Telefonieren stellt für Azubis mit Telefonangst bisweilen ein unüberwindbares Hindernis dar. Das hat verschiedene Gründe:

Das Fehlen des visuellen Feedbacks

Menschen mit Telefonangst mögen nicht mit jemandem reden, den sie nicht sehen können, denn ihnen fehlt eine wichtige Rückmeldung: Durch den Gesichtsausdruck (Mimik) seines Gesprächspartners erhält man ein unmittelbares Feedback darüber, wie er eine Situation bewertet. Am Telefon fehlt dieser Kommunikationsanteil, der gerade im Kontakt mit unbekannten Menschen von großer Bedeutung ist. Durch das Fehlen dieser Rückmeldung wird gleichzeitig der auditive Anteil (Tonfall) verstärkt, was sich besonders negativ auswirkt, wenn der Gesprächspartner tatsächlich kurz angebunden oder genervt ist.

Menschen mit Telefonangst neigen dann dazu, diese Situation ausschließlich auf sich persönlich zu beziehen, obwohl die Reaktion des Gesprächspartners von ganz unterschiedlichen Einflussfaktoren abhängen kann.

Die Nähe zu fremden Menschen am Telefon

Auch wird der Gesprächspartner beim Telefonieren häufig als „sehr nah und fast intim“ empfunden und die Befürchtung, als (ungebetener) Anrufer aufdringlich zu erscheinen oder zu einem ungelegenen Zeitpunkt anzurufen, ist ebenso wie die Angst vor Zurückweisung ein wesentliches Merkmal der Telefonangst.

Beispiel: Pia ist als Kauffrau für Büromanagement ständig mit dem Telefon als Arbeitsmittel konfrontiert. Auch privat telefoniert sie viel und ganz selbstverständlich – und hat sich darüber noch nie Gedanken gemacht. Im Büro Anrufe anzunehmen, fällt ihr auch nicht schwer. Sie kann viele Auskünfte geben und falls sie etwas nicht weiß, gibt sie das Telefonat an einen Kollegen weiter oder organsiert einen Rückruf. Neuerdings aber löst das Telefonieren bei ihr Angst aus, denn sie hat den Auftrag bekommen, aktiv zu telefonieren: Termine vereinbaren, Leistungen anbieten, Informationen einholen und – wenn nötig – nochmals nachhaken.

Die Vorstellung, jemanden ungebeten anzurufen und möglicherweise zu stören, löst bei Pia Unbehagen aus. Dazu kommt die Angst, vom Gesprächspartner schroff abgewiesen zu werden oder sich vor Aufregung so zu verhaspeln, dass sie sich am Telefon lächerlich macht. Pias schlimmste Horrorvorstellung wäre, wenn das auch alle anderen im Büro mitbekämen und hinter vorgehaltener Hand tuscheln würden.

Also greift Pia zu einem Trick: Statt wie gefordert anzurufen, telefoniert sie nur zum Schein und behauptet, niemanden erreicht zu haben und schreibt stattdessen E-Mails.

Die negative Gedankenspirale

Diese und andere Vermeidungsstrategien sind bei Menschen mit Telefonangst zu beobachten. Der Kreis schließt sich, wenn die Angst vor dem Telefonieren wiederum als Rechtfertigung genommen wird, um nicht telefonieren zu müssen: „In der Zeit, die ich brauche, um mich auf einen Anruf vorzubereiten, schreibe ich zwanzig Mails“ – so oder ähnlich rechtfertigen Menschen mit Telefonangst ihr Ausweichverhalten.

Ist dann aber doch ein Telefongespräch unvermeidlich, neigen Azubis mit Telefonangst dazu, eine negative Gedankenwelt aufzubauen, und das bevorstehende Telefongespräch buchstäblich zu „zerdenken“. In der Folge dauert die Vorbereitung auf das Gespräch meistens erheblich länger als das Gespräch selbst.

Beispiele:

„Ich werde nervös oder verspreche mich und rede Blödsinn, fange an zu stottern und bekomme einen Blackout.“

„Andere Leute ‚lauschen‘, ich stehe im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und blamiere mich oder es kommt zu ‚peinlichen Situationen‘ (weil ich z. B. den Firmennamen falsch sage).“

„Ich verstehe nicht, was der andere sagt (akustisch oder inhaltlich).“

„Ich rufe in einem ungünstigen Moment an und störe. Mein Gesprächspartner ist sauer.“

„Ich weiß nicht, wen ich ans Telefon bekomme und was mich erwartet.“

Diese Gedanken führen bei starker Telefonangst häufig auch zu körperlichen Symptomen wie Herzrasen, Zittern, zugeschnürter Kehle, trockenem Mund, Atem-Enge, Schwindel, Schwitzen und rotem Kopf. In der Wechselwirkung zwischen negativen Gedanken und körperlichen Symptomen entsteht eine Misserfolgsspirale, die zu einer Mauer aus Angst führt, hinter der nur noch Ablehnung und Misserfolg vermutet werden.

Hintergrund (soziale Phobie)

Diagnostisch gesehen gehört die Telefonangst zu den sozialen Phobien. Sie ist – wie etwa die Prüfungs- oder Redeangst – eine situationsgebundene Angst. Die Gemeinsamkeit dieser Ängste besteht darin, dass sie sich auf konkrete Handlungen beziehen, in denen man versagen oder sich vor den Augen anderer blamieren könnte und dabei kritisiert oder gar ausgelacht werden könnte.

Die meisten von uns kennen ein gewisses Maß an Aufregung vor einer Präsentation, einer öffentlichen Rede oder vor einem entscheidenden Telefonat. Diese Aufregung hat sogar eine wichtige unterstützende Funktion: Sie hilft dabei, sich auf die Situation zu fokussieren und Unwichtiges auszublenden, um so erfolgreich zu agieren. Eine Phobie hingegen, also eine Angst, die einen Krankheitswert besitzt, fängt dort an, wo die Angst nicht mehr überwunden werden kann und sich in der Lebensführung privat oder beruflich Einschränkungen ergeben.

Die Stärke der Angst ist dabei in vier Klassen einteilbar:

  1. Die „normale“ Angst, die jeder kennt (z. B. Angst vor einer Rede oder einer Prüfung, Lampenfieber vor einem Auftritt).
  2. Die krankhafte Angst, die sich auf eine bestimmte Situation bezieht und die Auswirkungen auf die Lebensführung hat (z. B. aufwändiges Vermeidungs-oder Ausweichverhalten).
  3. Die generalisierte Angst, die sich nicht (mehr) auf eine bestimmte Situation bezieht, sondern dazu führt, sich allgemein zurückzuziehen und alle Situationen, die subjektiv „gefährlich“ sein könnten (und es werden immer mehr!), zu meiden.
  4. Der völlige soziale Rückzug von der Außenwelt.

Schätzungsweise leiden etwa 3-5 % der Deutschen unter einer sozialen Phobie. Die Dunkelziffer liegt bei dieser Erkrankung jedoch vermutlich sehr hoch.

 

Was Sie als Ausbilder:in tun können

Tatsächlich kann man Telefonangst wohl nur überwinden, wenn man sich ihr stellt und telefoniert. Diese Konfrontation mit der Angst können Sie als Ausbilder für Ihre Azubis sorgsam vorbereiten und dosieren.

Schritt 1: Ängste besprechen

Vermutlich hat jeder schon mal einen (nervigen) Anruf in einer ungünstigen Situation bekommen – was war die Folge? Zumeist nur eine kurze Irritation oder Verärgerung, die aber bald vergessen war. Letztlich erinnert man sich zwar noch an den Anruf, aber kaum noch an die Person des Anrufers. Wer an Telefonangst leidet, muss lernen, dass es den „idealen“ Augenblick zum Anrufen ebenso wenig gibt wie den „ungünstigsten“ Zeitpunkt.

Zuerst sollten die konkreten Befürchtungen mit dem Auszubildenden besprochen und unbedingt schriftlich (!) festgehalten werden. Fragen Sie Ihren Auszubildenden:

„Welche Situationen haben Sie konkret schon erlebt?“ (als Anrufer wie als Angerufener)
„Was könnte man in einer solchen Situation sagen?“
„Was wäre die schlimmste Reaktion, die Ihr Gegenüber zeigen könnte?“
„Welche Möglichkeiten sehen Sie, damit umzugehen?“

Schritt 2: Vorbereitung – Sicherheit gewinnen

Viele Menschen mit Telefonangst versäumen es, sich auf ein Telefonat vorzubereiten, weil für sie bereits die Vorbereitung mit unangenehmen Gefühlen besetzt ist. In Kombination mit der Aufregung ist die Folge dann zwangsläufig ein Misslingen des Telefonats.

Einen Großteil der Sicherheit beim Telefonieren erlangt man jedoch durch eine gute Vorbereitung. So ist es ratsam, sich den Namen des Gesprächspartners, das Gesprächsziel, die eigene Büro-Telefonnummer (für evtl. Rückrufe) und einen Terminkalender für das Gespräch zurechtzulegen. Auch ein Zettel für Notizen während des Gesprächs, z. B. um Namen, Fakten oder Telefonnummern zu notieren, gehört zur Vorbereitung.

Schritt 3: Gesprächsleitfaden und Übungen

Der Angst vor dem Unbekannten begegnet der Azubi, indem er für sich einen Gesprächsleitfaden erstellt. Häufig bereitet gerade der Beginn des Gesprächs die größten Schwierigkeiten. Hier kann der Azubi verschiedene Gesprächseröffnungen sich selbst als „Trockenübungen“ vorsprechen und so für sich herausfinden, was am besten zum eigenen Stil passt.

Beispiel für eine Übung

Mit einer Gruppe von Auszubildenden können Sie „Was sage ich, wenn …“-Situationen durchspielen, die zum Teil auf den bereits gemachten Erfahrungen der Azubis beruhen können.

Was sage ich, wenn …
… mein Gesprächspartner mir sagt, dass er keine Zeit hat?
… ich den Namen meines Gesprächspartners nicht verstanden habe?
… ich gefragt werde, wie oft ich denn noch anrufen will?
… ich mir nicht sicher bin, ob ich die Telefonnummer, die er mir gerade gesagt hat, richtig notiert habe?

Die geschilderten Situationen werden auf Karten notiert und den einzelnen Azubis zugelost. Im simulierten Telefongespräch sollen diese Situationen dann gelöst werden. Die Lösungen werden gemeinsam diskutiert. Alle Auszubildenden bekommen die Aufgabe, neue Situationen, die sie am Telefon erleben, zu notieren. Auf diese Art entsteht mit der Zeit eine Lernliste.

Schritt 4: Kurz bevor es ernst wird

Bevor das Telefonieren unter Realbedingungen stattfindet, können Übungstelefonate mit bekannten Kollegen oder mit einem Coach (Ausbilder oder anderer Azubi) geführt werden, ohne dass alle anderen mithören können.

@iStock / sturti

Und zu guter Letzt: Mentale Unterstützung

Menschen, die ihre Telefonangst in den Griff bekommen haben, berichten über ganz eigene Methoden, die sie zur Angstüberwindung gefunden haben, z. B.

  • einen Glücksbringer in der Hand halten oder auf den Tisch legen.
  • Im Stehen statt im Sitzen telefonieren.
  • Entspannungsübungen, z. B. Progressive Muskelentspannung.
  • Entlastende Vorstellungen wie: „Das ist eigentlich gar nicht meine Aufgabe, aber ich helfe heute ausnahmsweise mal einer Kollegin.“

Fazit

Um eine Telefonangst dauerhaft zu überwinden, ist es wichtig, für sich selbst jedes Gespräch kurz nachzubearbeiten, z. B. indem man sich eine Schulnote gibt und sich überlegt, ob man noch etwas verbessern kann. Auf jeden Fall gehört auch dazu, sich nach jedem Anruf selbst „zu feiern“.


 

Autor:
Dipl.-Psych. Frank Menzel ist seit über 15 Jahren in der Aus- und Weiterbildung tätig. Seine Schwerpunkte sind die Organisation von Wissensvermittlung und Gestaltung von Qualifizierungsprozessen. Als systemischer Coach ist er Vermittler zwischen Mensch und Organisation.

Quelle: wirAUSBILDER, 2/2016

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