„Irgendetwas stimmt nicht …“ – Psychische Auffälligkeiten bei Azubis
„Früher hatten wir mal vereinzelt jemanden mit psychischen Problemen – heute betrifft das fast jeden Jahrgang.“ Diese Aussage fiel beim letzten DIALOG LIVE-Netzwerktreffen als es um „Herausforderungen im Ausbildungsalltag“ ging.
Auch meine Erfahrungen aus Azubi-Trainings bestätigen diesen Eindruck: Psychische Auffälligkeiten bei Azubis nehmen zu – ob in Form von Ängsten, autistischen Verhaltensweisen oder erhöhter Reizbarkeit. Das verändert Gruppenprozesse und erfordert viel Fingerspitzengefühl und Flexibilität im Umgang.

Von Einzelfällen kann längst keine Rede mehr sein: Laut der COPSY-Studie („Corona und Psyche“) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf berichten aktuell 22% der 7- bis 22-Jährigen über psychische Auffälligkeiten – rund fünf Prozentpunkte mehr als vor der Pandemie.
Diese Entwicklung bringt handfeste Risiken für Ausbildungsbetriebe mit sich:
- Lernprozesse geraten ins Stocken,
- Konflikte in der Gruppe nehmen zu,
- Krankmeldungen häufen sich, Ausbildungsabbrüche drohen,
- Betriebsklima und Ausbildungsqualität leiden messbar.
Für Ausbilder:innen heißt das: Hinschauen, ohne zu überfordern. Mitfühlen, ohne zu therapieren. Doch wie gelingt das im Alltag?
1. Psychische Auffälligkeiten bei Azubis: Erste Warnzeichen erkennen
Viele Azubis starten bereits mit seelischem Gepäck – sei es offiziell diagnostiziert oder unausgesprochen. Erste Warnzeichen können sein:
- Rückzug, starke Stille oder Desinteresse,
- Überforderung in scheinbar einfachen Situationen,
- Reizbarkeit oder stark wechselnde Stimmung,
- häufige Krankmeldungen ohne klaren körperlichen Grund,
- Leistungsabfall ohne erkennbare Ursache.
Nicht jedes auffällige Verhalten ist gleich eine Krankheit – aber es ist oft ein Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmt.
2. Sicher reagieren: Was Ausbilder:innen tun können
Ausbilder:innen sind keine Therapeut:innen – und müssen es auch nicht sein. Aber sie können Orientierung geben, Sicherheit vermitteln und den richtigen Zeitpunkt für professionelle Hilfe erkennen.
Was hilft
✅ Beobachtungen respektvoll ansprechen
Ein ruhiger, wertschätzender Einstieg kann viel bewirken. Zum Beispiel: „Mir ist aufgefallen, dass du dich in letzter Zeit zurückziehst.“ Wichtig ist, nur das anzusprechen, was tatsächlich beobachtet wurde – ohne zu interpretieren oder zu bewerten.
✅ Gesprächsangebote machen – ohne Druck
Ein offenes Gesprächsangebot kann entlasten. Es geht nicht darum, Lösungen zu liefern, sondern da zu sein, zuzuhören und Interesse zu zeigen.
✅ Wege zur Unterstützung aufzeigen
Wenn nötig, können gemeinsam Anlaufstellen gesucht werden – innerhalb des Betriebs oder extern. Schon ein Hinweis kann helfen, den nächsten Schritt zu machen.
✅ Wiederkehrende Auffälligkeiten dokumentieren
Kurze, sachliche Notizen helfen, den Überblick zu behalten – gerade, wenn Gespräche oder Situationen sich wiederholen.
Was eher schadet
❌ Diagnosen stellen oder Verhalten deuten
Sätze wie „Das ist bestimmt eine Depression“ können verletzend oder verunsichernd wirken. Besser ist es, bei konkreten Beobachtungen zu bleiben.
❌ Verharmlosen oder beruhigen wollen
Auch gut gemeinte Aussagen wie „Das wird schon wieder“ können den Eindruck erwecken, dass Sorgen nicht ernst genommen werden.
❌ Sich zu stark verantwortlich fühlen
Es ist nicht Aufgabe der Ausbilder:innen, alles allein zu tragen. Wer zu viel auf sich nimmt, läuft Gefahr, sich selbst zu überfordern – das hilft am Ende niemandem.
❌ Die Gruppe aus dem Blick verlieren
Manchmal stehen einzelne Azubis stark im Fokus – dabei braucht auch das Team Aufmerksamkeit. Gruppenprozesse sollten mitgedacht werden.
3. Ansprechpartner:innen bei psychischer Belastung in der Ausbildung
Niemand muss solche Situationen allein stemmen. Wer sein Netzwerk kennt, kann sich selbst entlasten – und professionell handeln.
Mögliche Anlaufstellen:
- Ausbildungsberatung der Kammern,
- Vertrauenspersonen, Betriebsärzt:innen, Personalabteilung,
- Berufsschulsozialarbeit, Jugendberufsagenturen,
- externe psychosoziale Beratungsstellen (z. kommunal oder online),
- Krisendienste, bei akuten Notfällen.
4. An Selbstfürsorge denken
Wer sich um andere kümmert, muss auch auf sich selbst achten. Psychisch belastete Azubis können Ausbilder:innen stark fordern – emotional, zeitlich, organisatorisch.
Was helfen kann:
- Austausch im Team („Wie gehst du damit um?“),
- Supervision oder kollegiale Beratung,
- klare Zuständigkeiten im Unternehmen,
- eigene Grenzen ernst nehmen und einhalten.
5. Fazit: Klar bleiben und sensibel handeln
Psychische Auffälligkeiten bei Auszubildenden treten heute häufiger auf und stellen viele Betriebe vor neue Herausforderungen. Wer aufmerksam bleibt, Veränderungen früh erkennt und umsichtig handelt, kann im Ausbildungsalltag gezielter unterstützen.
Ausbilder:innen müssen keine Expert:innen für psychische Gesundheit sein – aber sie sollten wissen, wo ihre Verantwortung liegt, und wann es sinnvoll ist, Hilfe einzubeziehen.
Hinweis: Die COPSY-Studie („Corona und Psyche“) wird seit 2020 vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf durchgeführt und untersucht bundesweit die psychische Gesundheit junger Menschen. Quelle: www.uke.de/copsy
Autorin: Heike Singbartl, NjördSkad OutdoorTeamTraining und Beratung, www.njoerdskad.de
Quelle: https://www.njoerdskad.de/psychische-auffaelligkeiten-azubis/
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